Hintergründe zu den Demonstrationen im Januar 2021

Aktuell gibt es wieder Demonstrationen von Landwirten in Berlin und Hannover. Vielleicht seid auch ihr einigen Treckerkorsos auf der Straße begegnet.

Aber warum ist das so? Ich versuche einmal, das für Nichtlandwirte zu erklären. Eines vorweg: Dieses Thema ist für alle wichtig, die hochwertige Lebensmittel auch zukünftig noch genießen möchten. Es dauert aber mindestens fünf Minuten, den Text zu lesen, weil es ein sehr komplexes Thema ist.

 

Vor ein paar Wochen gab es bereits Demonstrationen vor den Zentrallagern des Lebensmitteleinzelhandels (LEH). Daraufhin gab es Gespräche zwischen Politik, LEH und den Landwirten. Lösungen gab es dabei bisher noch keine, außer ein paar Absichtserklärungen. Der LEH schiebt die Verantwortung auf die Politik. Die Politik möchte sich aber nicht in die Beziehungen zwischen LEH und Landwirtschaft, bzw. Verarbeitern (Molkereien und Schlachthöfen) einmischen. Im Gegenteil: Es werden gerade jetzt Gesetze beschlossen und geplant

(Verschärfung der Düngeverordnung, Insektenschutzgesetz), die die Lage noch weiter anspannen. Beide Gesetze stehen von Seiten der Landwirte massiv in der Kritik, aber dazu kann ich hier nicht auch noch was schreiben, sonst wird es zu lang. 

 

Aber wie ist die Lage der Landwirtschaft und warum? Ich versuche mal die Lage bei der Milch zu verdeutlichen. Im Schweinebereich ist die Lage durch Corona und der afrikanischen Schweinepest aktuell noch viel brisanter. Da wird innerhalb eines Jahres teilweise der Wert eines Einfamilienhauses verloren.

Der Milchpreis liegt aktuell auf einem Niveau von ca. 30 bis 32 Cent pro Liter. Vor 50 Jahren (!!!) lag der Milchpreis bei 60 bis 70 Pfennig, also genauso hoch. Seitdem sind alle weiteren Kosten durch die jährliche Inflation gestiegen (Arbeitslöhne, Reparaturen, Beratungskosten,…. aber auch alle Ausgaben für die private Lebenshaltung) .

Durch verschärfte Auflagen (Silageplatten, Güllelagerraum, Umweltauflagen, verschärfte Düngeverordnung, Insektenschutzgesetz….) steigen die Produktionskosten zusätzlich drastisch an.

 

Als eine Antwort auf die Entwicklung hat sich die Anzahl der Milchkühe pro Betrieb und die Milchleistung der Kühe deutlich erhöht , was die zusätzlichen Kosten der Milchproduktion auf eine größere Milchmenge verteilt. Die Ursachen der Leistungssteigerung sind vielfältig. Kühe können sich heute in Boxenlaufställen frei bewegen, haben frische Luft, bekommen besseres Futter, werden durch mehr Wissen einfach besser versorgt, wurden auf höhere Milchleistung gezüchtet, u.v.m.... Früher standen die Kühe im Sommer zwar auf der Weide, im Winter aber ein halbes Jahr angebunden an einem Platz in einem Stall, der eine Luft hatte, die Tränen in die Augen schießen ließ, wenn man den Stall betreten hat, weil die Schadgaskonzentration so unglaublich hoch war.

 

Wenn Molkereien mit dem LEH verhandeln, haben sie eine sehr schlechte Position. Es gibt vier große Vertreter beim LEH (ALDI, REWE, LIDL und EDEKA), die ca. 80 % des Marktes beherrschen. Auf der anderen Seite stehen etwa 200 Molkereien in Deutschland. Dieses Ungleichgewicht führt zu einer außergewöhnlich hohen Marktmacht des LEH. Das Bundeskartellamt sollte diese ungleichen Machtverhältnisse eigentlich verhindern. Das passiert aber nicht. Im Gegenteil- es kommt sogar weiterhin zu Fusionen beim LEH.

 

Kommt es nicht zu einer Preisanpassung, werden in den nächsten Monaten/Jahren sehr viele Landwirte ihre Höfe schließen müssen. Erkennbar ist das bereits jetzt sehr deutlich an den extrem hohen kurzfristigen Verbindlichkeiten vieler Betriebe (das ist zu vergleichen mit dem Dispokredit, ca. 10% Zinsen). Das führt häufig bereits zu Zinszahlungen alleine für diese kurzfristigen Verbindlichkeiten von mehr als 1000 Euro monatlich.

 

Da mag man jetzt denken, das macht ja nichts, die Landwirte können ja woanders arbeiten. Das stimmt wahrscheinlich auch. Aber hinter jedem Betrieb steht mindestens eine Familie, die eine solche Aufgabe auch emotional bewältigen muss. Außerdem: Wenn Betriebe aufhören, übernehmen andere Betriebe die Flächen. Häufig werden die Flächen auch von Investoren aufgekauft, die das Land als Kapitalanlage sehen. Insgesamt führt das zu größeren Betriebseinheiten, die dann häufig nicht mehr Familienbetriebe sind, wie es ja von so vielen gewünscht wird. Bereits heute liegt der Pachtanteil der landwirtschaftlichen Flächen bei ca. 70%. Nur 30 % der Flächen gehören also noch den Landwirten selbst. Bei uns auf dem Brunkshof liegt der Anteil der eigenen Flächen bei 95%. Das ist ein ganz entscheidender Faktor, der uns auch in schwierigen Phasen wie jetzt ausreichend Stabilität verleiht. Aber dieses "Glück" haben eben die allermeisten Betriebe nicht.

 

Vielleicht werden auch sehr viele Flächen aus der Produktion verschwinden und zum Beispiel für Naturschutz eingesetzt. Das wäre auf dem ersten Blick für viele ja auch gut. Die Konsequenz daraus wird sein, dass Lebensmittel aus dem Ausland importiert werden müssen. Die Standards sind im Ausland häufig nicht so hoch wie bei uns. Nachhaltigkeit und Umweltschutz spielen dort kaum eine Rolle, Pflanzenschutzmittel- und Düngereinsatz werden dort ganz anders bewertet. Viele Pflanzenschutzmittel, die in Deutschland verboten sind, dürfen woanders noch eingesetzt werden.

Pflanzenschutzmittelrückstände sind in deutschen Lebensmitteln fast gar nicht zu finden, im EU-Ausland etwas häufiger und im nicht EU-Ausland noch einmal deutlich häufiger.

 

Dazu kommen dann längere Transportwege, die die Umwelt zusätzlich belasten. Außerdem fallen natürlich Steuereinnahmen und Arbeitsplätze aus der Landwirtschaft und den vielen vor- und nachgelagerten Bereichen weg. Einen Teil der Lebensmittelproduktion, die wir zukünftig essen, haben wir dann nicht mehr in der eigenen Hand. Das kann niemand von uns wirklich wollen, egal ob Landwirt oder Nichtlandwirt, Stadt- oder Landbewohner.

 

Eine Lösung für diese vertrackte Situation ist sicher nicht leicht. Als Verbraucher kann niemand diese komplexen Probleme lösen. Was aber jede/r machen kann, ist beim Einkauf darauf zu achten, wer die Lebensmittel produziert hat. Mit dem Einkauf und dem Einfordern deutscher Lebensmittel unterstützen wir die deutsche Landwirtschaft und sichern eine hohe Qualität unserer Lebensmittel auch in Zukunft.

Kaufen wir regionale Lebensmittel oder direkt beim Bauern im Ort, unterstützen wir zusätzlich unsere Region, in der wir leben. Regionale Lebensmittel sind natürlich teurer, weil sie in viel kleineren Mengen produziert werden. Dafür gibt es aber eine große Belohnung

-ein einzigartiges Geschmackserlebnis.